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Jetzt wird’s bunt – Wie Farbe in die Pharmawelt kam

Diese Ausgabe der Randnotizen befasst sich mit Farben in der Pharmaindustrie.

08.04.2020

Ostern steht vor der Tür und auch in diesem Jahr werden wieder Eier gefärbt. Dieser Brauch ist seit dem Mittelalter in Deutschland bekannt. Der Ursprung ist nicht gesichert, eine von mehreren Erklärungen führt ihn auf historische Verhaltensregeln für die Fastenzeit zurück, wonach Eier nicht verzehrt werden durften. Um sie haltbar zu machen, wurden sie deshalb gekocht. Da sich die rohen und gekochten Eier in Form, Farbe und Größe nicht unterscheiden, wurden die gekochten Eier zur Unterscheidbarkeit eingefärbt [1].

Diese „GMP-gerechte“ Prozessorganisation unserer Vorfahren erinnert an den Alltag in der heutigen Pharmaproduktion, wo unterschiedliche Produkte oder Dosierstärken mit ausgewählten Hilfsstoffen eingefärbt werden, um die Arzneimittelsicherheit und auch die Patienten-Compliance zu erhöhen. Insbesondere die mengenmäßig überwiegenden peroralen Darreichungsformen wie Tabletten, Pellets, Kapseln und Säfte bzw. Tropfen werden mit Hilfe von Farben individualisiert, wobei die Einfärbung auch eine Schutzfunktion besitzen kann. Ein klassisches Beispiel für diese Anwendung ist der Lichtschutz für den lichtempfindlichen Wirkstoff Nifedipin durch die Zugabe eines Farbstoffs mit ähnlichem Absorptionsspektrum [2]. Schließlich werden nach den Erkenntnissen der Farbpsychologie [3] bestimmten Indikationen entsprechende Farben zugeordnet (z.B. Beruhigungsmittel hellblau, Herz-Kreislauf-Präparate rot), um die Erwartungshaltung der Patienten zu erfüllen und möglicherweise sogar die Wirksamkeit zu verstärken.

Farbstoffe oder entsprechend gefärbte Placeboformulierungen können auch als Modellsubstanzen verwendet werden, um die Effektivität und Qualität von Reinigungsverfahren zu überprüfen (Reinigungsvalidierung). Die Durchführung und die analytische Auswertung solcher Tests sind beispielsweise ein Baustein im Portfolio des Bereichs Pharma Services bei Harro Höfliger.

Doch der GMP-Gedanke ist nicht die einzige Verbindung zwischen Ostereierfarben und Pharma. Wie Farben in der belebten Natur als Attraktion, zur Unterscheidung oder als Warnsignal verwendet werden, hat auch der Mensch von jeher seine Umwelt mit Hilfe von Farben gestaltet. Hierfür wurden – wie beispielsweise in der Höhlenmalerei – anorganische Pigmente wie Ocker, Zinnober oder Malachit verwendet, aber auch organische Naturstoffe aus Pflanzen (z.B. Färberwaid bzw. Indigo, Krapp) und aus Tieren (z.B. Purpurschnecke, Cochenille-Laus) kamen zum Einsatz, letztere überwiegend zum Färben von Textilien. Da die Farbstoffe nur in sehr begrenzten Mengen zur Verfügung standen, waren Sie kostbar und standen nur den Eliten in der Gesellschaft zur Verfügung.

Dies änderte sich sehr schnell im Zuge der Industrialisierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wo immer mehr Stadtgas als Energieträger für die Industrie und zur Beleuchtung in den Städten benutzt wurde. Bei der Gaserzeugung durch das Verkoken von Steinkohle entstanden neben Koks auch große Mengen Steinkohlenteer als „Abfall“, aus dem in der Folge jedoch zahlreiche organische Verbindungen wie z.B. Anilin isoliert werden konnten. Nachdem es dem jungen Chemiker William Perkins schließlich 1856 gelang, hieraus den synthetischen purpurvioletten Farbstoff „Mauvein“ zu erzeugen, begann die rasante Entwicklung der Teerfarbenindustrie. Bei der Beschäftigung mit diesem Thema findet man schnell heraus, dass viele große Pharmafirmen - insbesondere in Deutschland und der Schweiz - ihre Wurzeln in der Farbenindustrie haben: So begannen die Firmen Bayer (ehemals Farbwerke Bayer), Sanofi-Aventis Deutschland (ehem. Farbwerke Hoechst), BASF (Badische Anilin- und Sodafabrik), Ciba und Geigy vor etwa 160 Jahren mit der Fabrikation synthetischer Farbstoffe.

Der Übergang von der Farbenchemie zur Pharmachemie wurde entscheidend durch die Entdeckung der Sulfonamide als Wirkstoffe durch Gerhard Domagk vorangetrieben: Auf der Suche nach Substanzen zur Bekämpfung bakterieller Infektionen beim Menschen hatte sein Team in den Dreißigerjahren auch mit den damals weit verbreiteten Azofarbstoffen experimentiert. Obwohl diese bei In-vitro-Tests gegenüber Streptokokken weitgehend wirkungslos waren, wirkten sie an Mäusen überraschenderweise antibakteriell und waren zugleich gut verträglich. Schon bald konnte eine der Testsubstanzen in der Klinik geprüft werden und kam wenige Monate nach der Publikation der sensationellen Ergebnisse unter der Bezeichnung Prontosil® (Bayer) auf den Markt. Die Ära der Chemotherapie mit Sulfonamiden hatte begonnen, 7 Jahre bevor zum ersten Mal Penicillin in einem klinischen Versuch getestet wurde.

Heute weiß man, dass die eingesetzten Azofarbstoffe als „Pro-Drug“ im Organismus erst in die eigentlich wirksamen Sulfanilamide umgewandelt werden müssen und selbst unwirksam sind. Als Lebensmittel- und Arzneimittelfarbstoffe werden Azoverbindungen ebenfalls eingesetzt, ihre Verwendung ist aber inzwischen umstritten. Nur eine begrenzte Zahl von Farbstoffen ist noch zugelassen und erfordert einen Warnhinweis auf der Verpackung. Dies gilt natürlich auch für gefärbte Ostereier, die vom Handel in Verkehr gebracht werden!

In der Pharmazie hat man deshalb in den letzten Jahren zunehmend wieder anorganische Pigmente, vor allem Eisenoxide und Titandioxid, zur Färbung von Filmtabletten und Hartkapseln verwendet. Wegen der geringeren Brillanz und Farbkraft sind diese Produkte häufig eher pastellfarben. Aber auch die Verwendung dieser Pigmente ist nicht völlig unproblematisch: Die Verwendung von (nanoskaligem) Titandioxid, das beispielsweise in allen opaken Hartkapseln zu etwa 2% enthalten ist, wird gerade kontrovers diskutiert und soll in Frankreich sogar verboten werden [4].

Außerdem sind anorganische Pigmente und dadurch auch die Oberflächen der damit gefärbten Darreichungsformen stets abrasiv, was sich beispielsweise an den Formatteilen der Kapselfüllmaschinen nach längerem Gebrauch bemerkbar macht. Das Serviceteam der Kapselspezialisten von Harro Höfliger unterstützt seine Kunden gerne bei der Beurteilung und Funktionsprüfung der Maschinen, um eine einwandfreie Funktion zu gewährleisten.

 

[1]        Regner, A., Rot, gelb oder blau? Die PTA in der Apotheke,
März 2015, 132-133 (2015).

[2]        Bauer, Kurt, Nifedipine concentrate stabilized against the influence of light, EP0272336 (1991).

[3]        Braem, Harald, Die Macht der Farben: Bedeutung und Symbolik.
Signum Verlag, Seedorf 2012.

[4]        Bundesinstitut für Risikobewertung, Fragen und Antworten des BfR
vom 26. September 2019: https://www.bfr.bund.de/de/titandioxid___es_besteht_noch_forschungsbedarf-240812.html
Letzter Zugriff am 18.03.2020.

 

Von Dr. Karlheinz Seyfang

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